Dienstag, 21. Juni: Messum und Brandberg: Offroad vom Feinsten

Heute machen wir uns sehr früh auf den Weg. Wir haben eine lange Fahretappe im Gelände vor uns. Gleich um 6:30 Uhr frühstücken wir im Hotel und noch vor 7 Uhr fahren wir die C34 entlang der Küste nach Norden. Die Landschaft erinnert sehr an die Ödnis auf dem Weg nach Walvis Bay. Wirklich nicht sehr einladend. Nur ganz selten begegnet uns ein anderes Fahrzeug. 15 km vor Henties Bay liegt die „Zeila of Hangana“ gestrandet an der Küste. Sie lief hier am 25. August 2008 auf Grund. Kaum sind wir einer Reifenspur im Sand folgend vom Pad hinunter auf den Strand gefahren, um das Wrack näher zu betrachten, kommen schon drei Einheimische und wollen uns etwas verkaufen. Sie warten höflich, bis ich ein paar Fotos geschossen habe, dann geht es los. Mineralien haben sie, das sei ihr einziges Einkommen. Hin- und hergerissen zwischen Zweifeln an der Echtheit der Steine beziehungsweise für den Fall der Echtheit an der Rechtmäßigkeit, diese der Natur zu entnehmen, und der Aussichtslosigkeit dieses Geschäftsmodels in Anbetracht der nicht vorhandenen Besucherströme siegt die Einsicht, dass wir in dieser gottverlassenen Gegend jetzt einfach als Einkommensquelle herhalten müssen. Wir feilschen hart und schenken keinen Dollar her, wir wollen keine Almosen verteilen, und haben am Ende vier verschiedenfarbige Mineralien und die obligatorische Makalani-Nuss mit Namen zu einem Preis, der wahrscheinlich immer noch deutlich zu hoch ist.

In Henties Bay tanken wir den Wagen voll und fahren zum Tourist Office. Zu Hause bei der Planung der Route hatte ich mich für die Offroad-Messum-Querung entschieden und ich möchte jetzt vor Ort einfach abklären, ob die Bedingungen nach dem regenreichen Herbst noch gut sind. Wir treffen fast zeitgleich mit Estelle ein, die gerade das Büro aufschließt. „Die Bedingungen sind nie gut“, sagt sie als Antwort auf meine Frage. Das Flussbett ist aber trocken und außerdem aus Kies, also nicht zu vergleichen mit schwer zu befahrendem Tiefsand. Mit GPS sei die Route auch nicht schwer zu finden. Wohin wir denn danach wollten. „Zur Whitelady Lodge? Na dann fahrt doch die nördliche Brandberg-Route und durch den Ugab-Fluss.“ Da hätten sie letztes Mal Wüstenelefanten gesehen. Allerdings sei in diesem Flussbett Tiefsand – „10 km heavy driving“. Interessant, ich hatte eher damit gerechnet, dass sie mich schon davor warnt, alleine in den Messum Crater zu fahren – so wie es die Broschüre des Tourist Office Henties Bay tut – und jetzt schickt sie uns sogar alleine noch tiefer in die Wildnis. Wir beschließen spontan zu entscheiden, je nachdem wie gut der Messum Crater klappt und wie spät am Tag es danach ist. Zu unserer im Swakopmunder Buchladen gekauften Messum-Broschüre kaufen wir noch eine laminierte Brandberg-4x4-Routenbeschreibung mit GPS-Koordinaten.

Kurz hinter Henties Bay verhält sich das Wetter endlich erwartungsgemäß: Nebel zieht auf und macht das steinharte Salzpad zu einer schmierigen Piste. Dafür freuen sich die Flechten auf der umliegenden Mondlandschaft über die hohe Luftfeuchtigkeit und danken es mit satten Farben. Die Flechtenfelder sind etwas ganz besonderes. Sie brauchen Jahre wenn nicht Jahrzehnte um zu solcher Größe anzuwachsen und nur bei hoher Luftfeuchtigkeit „blühen“ sie auf. Rund 50 km auf der C34 nördlich von Henties Bay zweigt eine kleine Straße 4 km nach Westen in Richtung Küste zu Cape Cross ab. Hier befindet sich eine der größten Kolonien südafrikanischer Seebären im südlichen Afrika. Bis zu 250.000 Tieren leben auf einer kleinen Landspitze. Wir zahlen eine kleine Gebühr am Eintrittshäuschen bei einem älteren Parkranger und fahren auf einer Schlammpiste im dichten Nebel an die Küste. Als wir am Parkplatz halten, sehen wir schon einen Schakal zwischen den Tieren herumlungern. Als wir aussteigen, haut es uns fast um – der Gestank ist im ersten Moment unerträglich. Eine Mischung aus Exkrementen und Verwesung. Wir gehen auf den Holzstegen durch die Kolonie und sehen, auch begünstigt durch den Nebel, kein Ende der Tierkolonie. Robben so weit das Auge reicht. Um den Bestand zu regulieren, greift die Naturschutzbehörde ein und keult täglich eine festgelegte Quote. Auch Schabrackenschakale und Hyänen ernähren sich vor allem von den Robbenjungen. Trotzdem ist der Bestand seit Jahren stabil.

Der Gestank hängt auch noch im Auto, als wir zurück zur C34 fahren und dieser weiter nach Norden folgen. Nach 31 km folgen wir dem Abzweig der D2303 nach Nordosten weg von der Küste. Und wenige Kilometer später hört die Wolkendecke wie an der Schnur gezogen auf. 15 km nach dem Abzweig der D2303 kommt das Messum Rivier und wir verlassen die Straße um off-road nach Osten weiterzufahren. Das Messum-Flussbett ist an dieser Stelle sehr breit, sodass man kaum merkt, in einem Flussbett zu fahren. Weiter nach Osten hin wird es schmaler und man fährt am Boden mit mehr als 5 Meter hohen Uferböschungen zu beiden Seiten.

Als Grundregel für das Fahren abseits der befestigten Straßen gilt für uns, und so sollte es allgemein gehandhabt werden, keine neuen Spuren zu eröffnen, sondern nur bereits ausgefahrenen Wegen zu folgen. Andernfalls nimmt die Natur viel zu viel Schaden. Gerade die hier überall wachsenden Flechten können gar nicht so schnell regenerieren, wie rücksichtslose Off-Road-Fahrer sie zerstören. Durch das extrem langsame Wachstum schließen sich neue Fahrspuren auch nach Jahrzehnten nicht wieder.

Wir folgen dem Weg durch den Kies des Flussbetts und kommen nach 9 km an spektakulären steilen Böschungen zum Teil mit überstehenden Kiesfelsnadeln am südlichen Flussufer vorbei. Gleich gegenüber am nördlichen Ufer führt ein steiler Weg die Uferböschung hinauf zu einem Aussichtspunkt. Von hier erkennt man, wie sich der Messum in die Landschaft hineingegraben hat. Zurück im Fluss stoßen wir auf ein großes Feld mit Tsamma-Melonen, denen die Trockenheit herzlich wenig ausmacht. Rund weitere 2 km später fahren wir in die Messum Terrace und stoßen auf den Main Track, der 5 km südlich des Messum von der D 2303 abgeht. Wir verlassen den Hauptarm des Flusses, der nach Nordosten abbiegt, folgen einem Seitenarm direkt nach Osten und treffen nach einem Kilometer auf die erste Welwitschia mirabilis. Von hier ab bis zum Kraterrand säumen unzählige dieser hier endemischen Pflanze unseren Weg. Sie zählen zu den Nacktsamern und sind zweihäusig getrenntgeschlechtig mit weiblichen und männlichen Pflanzen. Ihren minimalen Wasserbedarf deckt eine Pflanze nur aus dem Tau des Morgennebels der Küste. Es wird vermutet, dass das Wasser an den dicken wachsüberzogenen Blättern kondensiert und zu Boden tropft, wo es von einem extrem feinen Netz direkt unter der Erdoberfläche liegender Wurzeln aufgenommen wird. Diese Wurzeln erstrecken sich in einem Umkreis von bis zu 15 Metern um die Pflanze herum. Aus diesem Grund sollte immer ein ausreichender Abstand zu den Pflanzen gehalten werden, um die im Boden liegenden sehr empfindlichen Wurzeln nicht zu zertreten. Die Pflanzen haben, obwohl es ganz anders aussieht, nur zwei Blätter und werden geschätzt über 1000 Jahre alt.

Weitere 9 km später um 12 Uhr erreichen wir beinahe unbemerkt den Rand der Caldera. Durch seine großen Abmessungen von über 20 km Durchmesser und die starke Erosion ist der Vulkan kaum mehr als solcher erkennbar. Seine aktive Zeit ist 133 Millionen Jahre her. Wir folgen dem Main Track zur Mitte des Kraters wo sich noch die Überreste vermutlich eines Lavadoms befinden. Von oben hat man einen tollen Rundblick auf den gesamten Krater. Am Nordhang der zentralen Erhebung unter einem großen Felsüberhang sollen sich Felszeichnungen befinden, die wir leider auch nach langer Suche nicht finden können. Einzig die Bakkrans, ringförmige Überreste einer alten Damara-Siedlung sind leicht erkennbar.

Wir fahren nordöstlich auf dem Main Track aus dem Krater heraus und stoßen wieder auf das Messum-Flussbett. Diesem folgen wir 2,5 km und fahren dann weiter entlang des Main Tracks nach Südosten. Nach etwa 7 km biegen wir östlich vom Main Track ab, der einen leichten Umweg nach Süden macht, und halten weiter nach Osten auf den Brandberg zu. Weitere 18 km später erreichen wir um 14 Uhr die D2342. Jetzt müssen wir uns entscheiden: Fahren wir nach Südosten zur C35 und auf dieser über Uis zur Brandberg Lodge oder folgen wir der Empfehlung von Estelle aus Henties Bay und nehmen die Off-Road-Strecke nördlich um den Brandberg herum? Da wir noch vier Stunden Tageslicht haben, und der Messum Crater wirklich einfach zu fahren war, entscheiden wir uns für die Off-Road-Variante.

Wir folgen der D2342 nach Norden und verlassen die Straße nach 16 km in nordöstlicher Richtung. Nach knapp 9 km queren wir den Numas-Fluss, nach weiteren 7 km den Kleinen Numas-Fluss. Die Landschaft ist unbeschreiblich schön. Unser Weg schlängelt sich durch kniehohes gelbes Gras mit grünen Büschen und vereinzelten Bäumen dazwischen. Ein Strauß rennt vor uns über den Weg. Der Brandberg überragt wenige hundert Meter im Südosten mit seiner roten Färbung die Kulisse. Immer wieder tauchen Welwitschias zwischen dem Gras auf. Hinter dem Kleinen Numas-Fluss taucht die Landschaft langsam und wellenförmig zum Ugab-Fluss hinab. Wir schlängeln uns zwischen grasüberzogenen Hügeln und deren Ausläufern durch die Landschaft. Nach rund 9 km erreichen wir das Ugab-Flussbett und sofort wird die Vegetation saftig grün und von hochgewachsenen Bäume dominiert – Elefantenrevier. War der Weg bis hierhin ein ordentlicher, wenn auch mit vielen losen Steinen übersäter Feldweg, so wird es jetzt schwieriger: Das Ugab-Flussbett besteht komplett aus tiefem Sand. Also, den Allradantrieb zugeschaltet und los geht’s. Der Wagen frisst sich mit merklicher Anstrengung durch das Flussbett. Der Motor dröhnt und der Verbrauch liegt wieder über 60 l/100km. Wir halten fleißig am Ufer nach Elefanten Ausschau. Nach 2 km leuchtet sie Getriebetemperaturleuchte auf – Mist! Also Motor aus, Motorhaube auf und abkühlen lassen. Draußen sind es 38 °C und theoretisch können jederzeit Elefanten auftauchen. Nach einer Pause von 5 Minuten fahren wir weiter, aber die Leuchte geht bald wieder an. So geht das nicht. Wir suchen einen Weg aus dem Flussbett – ohne Erfolg. Da fällt mir auf, dass ich noch in der normalen Übersetzung fahre. Wie peinlich, bei solchen Bedingungen sollte man vielleicht die Untersetzung verwenden. Kein Wunder, dass das Getriebe überhitzt. So kann man sich durch Unachtsamkeit auch mit einem zuverlässigen Auto in Schwierigkeiten bringen. Hier mit einer Panne liegenzubleiben ist wirklich keine gute Idee. Wenn ein bis zwei Fahrzeuge täglich vorbeikommen, wäre das viel. Wahrscheinlicher ist, dass mehrere Tage niemand hier unterwegs ist. Handyempfang ist nicht vorhanden. Also den Low-Modus eingelegt und die nächsten 12 km wühlt sich der Toyota zuverlässig und ohne weiteres Murren durch den Sand. Im Prinzip kann man dem Fluss noch weitere 15 km bis zur Brandberg White Lady Lodge folgen. Wir entscheiden uns für die materialschonende Variante und folgen dem Main Track nördlich des Flusses auf festem Untergrund. Um 16:30 Uhr erreichen wir die Lodge nach einem wirklich ereignisreichen und landschaftlich herausragenden Tag. An der Rezeption erfahren wir, dass die Elefanten zurzeit nicht im Flussbett sind, weil sie nach der langen Regenzeit im Herbst überall genug Wasser finden. Wir melden uns auf dem Campground an, suchen uns einen schönen Platz und schlagen schließlich unser Dachzelt unter einem riesigen Baum auf. Nach so einem Tag müssen wir erst einmal verschnaufen und in aller Ruhe einen Sundowner genießen. Zum Abendessen laufen wir im Stockdunklen einige hundert Meter zur Lodge, was sich aber für das gute Essen lohnt. Wir lassen die Lampe auf der Gasflasche hinten am Auto brennen und finden so im Dunkeln gut unseren Platz wieder. Andere Camper haben weniger Glück und irren mehr als eine halbe Stunde immer wieder mit Taschenlampe über die Wege in der Nähe unseres Platzes und suchen ihr Zelt oder ihr Chalet. Gerade als wir uns und unser GPS zur Hilfe anbieten wollen, können wir sie in der Dunkelheit nicht mehr sehen. Wir hoffen, sie haben sich dann doch noch zurechtgefunden.