Mittwoch, 15. Juni: Aus dem Nebel ins Paradies.

Morgens geht die Sonne über der Bucht von Lüderitz auf und der Himmel ist ganz klar. Eine tolle Kulisse. Wir frühstücken auf unserem Zeltplatz neben einem Felsen, der aussieht wie eine Pappmaché-Filmkulisse. Er ist aber tatsächlich sehr massiv und lässt sich gut besteigen. Von oben hat man einen 360°-Rundblick von Shark Island auf Lüderitz und das Meer. Nach dem Frühstück hat der Nebel schon wieder die Überhand gewonnen und es wird trübe. Wie frustrierend. Lüderitz ist bei gutem Wetter mit Sicherheit eine schöne kleine Küstenstadt mit viel Charme.

Wir machen uns auf, zurück auf die B4 nach Osten und treffen unterwegs tatsächlich noch das englische Ehepaar vom Nachbarplatz, die ihre, hier dringend benötigte, Regenplane beim Abbauen haben liegen lassen. Als wir kurz halten und Ihnen Bescheid geben, sind sie sehr glücklich und dankbar.

Auf dem Hinweg begannen die Wolken maximal 20 km vor Lüderitz. Jetzt auf dem Rückweg wollen sie kein Ende nehmen. Die weite Ebene des Namib Naukluft Parks nördlich der B4 ist eine einzige trübe Suppe. Südlich im Diamanten-Sperrgebiet sieht es keinen Deut besser aus. Die tiefliegenden Wolken hängen bis zum weiten Horizont und machen nicht gerade Mut, dass wir die heutige Etappe durch die Tirasberge bei guter Sicht machen können. Dann, über 100 km von Lüderitz und der Küste entfernt, auf über 1200 m Höhe sieht man wie am östlichen Horizont das Wolkenfeld plötzlich unvermittelt aufhört. Wir fahren weiter und bei 1400 m Höhe, kurz vor Aus kommen wir unter den Wolken hervor und fahren in die Sonne. Die Landschaft ist plötzlich in knallige Farben getaucht und alles um uns herum leuchtet. Was für eine Erlösung. Wir können das Licht am Auto wieder ausschalten und fahren nach Aus zum Tanken bei der Namib Garage.

Gegen 10 Uhr biegen wir von der asphaltierten B4 auf die rote Schotterpiste der C13 nach Norden ab. Tumbleweed weht über die Straße, es ist keine Wolke mehr am Himmel. Nach rund 60 km kommt links der Abzweig der D707. Auf der C13 sind noch einige andere Autos unterwegs, die brausen aber alle Richtung Helmeringhausen weiter und lassen die D707 links liegen. Wir nicht und so sind wir ab hier alleine auf der wahrhaft schönsten Straße Namibias unterwegs. Direkt hinter der Kreuzung steht noch ein Pistenhobel mit Besatzung, dann sind wir das einzige Fahrzeug weit und breit. Ein einsamer Köcherbaum leitet die Szenerie ein. Die Landschaft ist so überwältigend, dass wir ständig anhalten müssen. Wir sehen die große gepanzerte Bodenschrecke, einen Steppen- und Turmfalken, den omnipräsenten Weißbürzel-Singhabicht (WBSH), einen Sekretär und einen Strauß. Die rote, sandige Piste führt uns in den Naturpark der Tirasberge hinein. Obwohl wir mehr stehen als fahren, begegnen wir keinem anderen Fahrzeug. Die ganze Landschaft ist überzogen mit einer Decke aus grün-gelblichem Gras, wohl auch dank der ausgiebigen Regenfälle der vergangenen Monate. Nach knapp drei Stunden erreichen wir, 80 km nach der Beginn der D707, das Tor der Kanaan Gästefarm. Von hier sind es noch 8 km auf der Farmroad bis zum Farmhaus. Aus dem Gras zu beiden Seiten des Weges stürzen sich pausenlos Vögel vor das Auto. Ab sofort heißen sie für uns nur noch Suicidal Birds. Bei der Farm begrüßt uns der völlig erkältete Eigentümer Hermi Strauss.

Wir begrüßen unserseits ihn sowie die beiden anderen Gäste Mechthild und Jens-Uwe und beziehen unsere Zimmer. Energieversorgung ist auf diesen abseits gelegenen Farmen immer ein Problem. Auf unserem Zimmer sorgen zwei Petroleumlampen für Licht, was für ein tolles Ambiente sorgt. Hermi ist sehr am Husten, aber rappelt sich trotzdem auf, um uns in seinem Land Rover über die Farm zu fahren. Er verspricht uns ein einmaliges Erlebnis in einer der schönsten Landschaften Namibias. Etwas skeptisch denken wir nur „na mal sehen, ist ja klar, dass er von seinem eigenen Land nichts Schlechtes erzählt“. Also setzen wir uns gegen 15 Uhr auf die Bänke der offenen Ladefläche und die Fahrt beginnt. Sehr schnell hat uns die Landschaft von Hermis Behauptung überzeugt. Östlich der D707 liegt ein weites Grasland zwischen einzelnen Ausläufern der Tirasberge. Hier weiden hunderte von Spießböcken, das Vieh der Farm. Auf den Bergen wachsen Köcherbäume, in den Akazien haben Siedelweber ihre riesigen Nester gebaut. Wir machen eine kurze Pause und gönnen uns eine Erfrischung und hausgemachtes Oryx-Biltong. Dann fahren wir am Rande einer großen Grasfläche nach Westen in Richtung Namib-Wüste. Plötzlich biegt Hermi vom Feldweg ab und fährt mitten in die Graslandschaft hinein und nimmt die Verfolgung einer Oryxherde auf. Man sieht im hohen Gras überhaupt keine Bodenkonturen. Die Fläche muss aber topfeben sein, denn wir fahren mit geschätzten 80 bis 100 km/h hinter den Tieren her inklusive enger Kurvenradien. Als ein Springbock auftaucht, fahren wir minutenlang im Affenzahn neben diesem her. Gleiches muss sich ein Strauß gefallen lassen. Die Tiere in diesem Tempo in Aktion zu sehen ist beeindruckend. Wir verlassen uns auf Hermis Sachverstand, was die Kondition der Tiere und den Zustand des Untergrundes betrifft. Dann überqueren wir die D707 und begeben uns in den westlichen Teil der Farm, zu dem die Anfänge der Namib-Wüste mit ihren tiefroten Sanddünen gehört. Hier bestätigt sich nun endgültig Hermis Behauptung. Die Landschaft ist malerisch. Wir fahren in die Dünen und blicken über den roten Sand mit seinem Wellenmuster über die gelb-grüne Graslandschaft mit einzelnen Bäumen bis zu den Tirasbergen. Die Luft ist glasklar und die Farben sind satt. Wir befinden uns inmitten eines kleinen Paradieses. Oben auf einem der ersten Dünenkämme angekommen riecht es brenzlich. Hermi hält, kriecht unters Auto und löscht mit der Hand einen brennenden Büschel Dünengras, das sich während der Fahrt hier gesammelt und am Auspuffkrümmer entzündet hat. „Nichts Ungewöhnliches“, meint er, „passiert leicht“. Die Dünen um uns liegen unberührt in der untergehenden Sonne. Vor allem die leichten Wellen- und Rillenmuster sind wunderschön. Nur ein paar kleine Spuren von Geckos oder Schlangen durchbrechen die Flächen, auf denen vereinzelte Büschel von Dünengras wachsen. Wir setzen uns auf einen Dünenkamm und genießen den Sonnenuntergang mit einem Creme-Whiskey. Als um kurz nach 18 Uhr die letzten Strahlen über den Horizont streifen, drehen wir uns um und sehen den Mond genau gegenüber hinter uns aufgehen. Heute ist die Nacht der Mondfinsternis.

Wir fahren zurück zur Farm und bekommen dort ein exzellentes mehrgängiges Abendessen mit hausgemachten Oryx-Steaks über dem offenen Grill im Farmhaus zubereitet. Hermi erweist sich einmal mehr als perfekter Gastgeber.

Wie passend, dass an diesem Abend der Hobby-Astronom Jens-Uwe auch in Kanaan ist. Er hat sich diese Farm ausgesucht, um ein kleines Teleskop hier fest zu installieren. Gegen 19:30 Uhr beginnt der Erdschatten, sich auf den Mond zu legen. Etwa 70 Minuten später hat der äußere Erdschatten den Mond vollständig abgedunkelt. Kurz vor der vollen Abdunklung fahren wir die zwei Minuten vom Haus zum Teleskop und beobachten von hier den weiteren Verlauf der Mondfinsternis. Jetzt sehen wir zum ersten Mal auf der Reise überhaupt die Milchstraße. Zuvor hatte das helle Licht des beinahe vollen Mondes dies stets verhindert. Der Effekt ist überwältigend. Immer besser tritt sie hervor, bis sie klar und deutlich in ganzer Pracht zu sehen ist. Der nur noch dunkel rötlich schimmernden Vollmond liegt jetzt schwach, aber gut sichtbar mitten in der Milchstraße. Den Mond gemeinsam mit der Milchstraße kann man nur unter diesen Umständen sehen.

Leider ist es unglaublich kalt geworden. Die Temperatur liegt nahe 0 °C. Daher halten wir es gegen 22:15 Uhr nicht länger aus und fahren zurück zur Farm.